Warum gendern?
Als ich zum ersten Mal von der Idee des Genderns gehört habe, war ich alles andere als begeistert. Besonders die Formen mit Sternchen oder anderen Sonderzeichen innerhalb von Wörtern und Sprechpausen haben mich ziemlich abgeschreckt. Von so einem komischen Unsinn habe ich absolut nichts gehalten, habe es nicht verstanden und fand es völlig unnötig. Ich denke, so ergeht es jedem Menschen, der sich noch nie ernsthaft mit diesem Thema auseinandergesetzt hat und vielen geht es noch immer so. Warum sollte es für irgendwem diskriminierend sein, nicht zu gendern? Und was sollte es bringen, es zu tun? Im Laufe der Zeit setzte ich mich mehr und mehr mit dem Thema auseinander und meine Perspektive änderte sich nach und nach.
Mittlerweile gibt es zwei Hauptgründe, aus denen ich eine geschlechtsneutrale Sprache bevorzuge. Der erste Grund ist rein egoistisch. Es fühlt sich für mich unfair an und ich fühle mich schlecht dabei, mit folgender Doppelmoral zu leben: Wie kann ich von anderen Menschen erwarten, etwas zu akzeptieren, was ich bei mir selbst nicht akzeptieren würde?
Ich bin ein Mann und als solcher möchte ich auch angesprochen beziehungsweise angeschrieben werden. Auch innerhalb einer Gruppe, bestehend aus Menschen unterschiedlichen Geschlechts, möchte ich nicht als Frau angesprochen werden. Wenn ich beispielsweise in einer Abteilung, in welcher sowohl männliche, als auch weibliche Personen tätig sind, im Zuge einer Danksagung gemeinsam mit allen anderen gelobt werde, dann würde es mir nicht gefallen, wenn gesagt werden würde: "Die Mitarbeiterinnen dieser Abteilung haben herausragende Arbeit geleistet."
Da ich keine Mitarbeiterin, sondern ein Mitarbeiter bin, würde ich mich von dieser Form der Anrede nicht angesprochen fühlen. Eine geschlechtsneutrale Anrede, wie beispielsweise: "Die Mitarbeitenden haben tolle Arbeit geleistet", würde alle beteiligten Personen unabhängig deren Geschlechts mit einbeziehen. Davon können sich alle angesprochen fühlen, inklusive mir selbst.
Da ich also selbst nicht als Mitarbeiterin angesprochen werden oder beispielsweise in einem allgemeinen Schreiben an alle Einwohnerinnen nur mit gemeint sein möchte, wäre es ziemlich unfair, würde ich vom weiblichen Teil der Bevölkerung erwarten, sich als Mitarbeiter, Lehrer oder beispielsweise Forscher ansprechen zu lassen. Genderneutrale Bezeichnungen wie Mitarbeitende, Lehrkräfte oder Forschende, von denen alle Menschen unabhängig des biologischen Geschlechts und der geschlechtlichen Identität angesprochen werden, sind zeitgemäss und einfach fair.
Der zweite Grund ist der, dass ich kein haltbares Argument kenne, welches dagegen spricht, alle Menschen unabhängig deren Geschlechter anzusprechen. Es gibt Argumente dagegen, doch keines davon kann ich bei näherer Betrachtung als haltbar bewerten. Die gängigsten Gegenargumente möchte ich hier nun erörtern.
"Sprechpausen innerhalb von Wörtern stören." Tun sie das wirklich? Sprechpausen innerhalb von Wörtern sind und waren schon immer ein fester Bestandteil in der deutschen Sprache. Man kennt sie als Glottisschlag und jeder nutzt sie, ohne dass sich je ein Mensch darüber beschwert hat. Beim Gendern ist es exakt die gleiche Sprechpause wie beim Glottisschlag, sofern diese nicht übertrieben in die Länge gezogen wird. Beispiele hierfür wären die Worte Spiegelei (Spiegel-ei) oder Mettigel (Mett-igel) und zahlreiche andere gebräuchliche Wörter, bei denen sich nie jemand über eine störende Sprechpause beschwert hat, da diese beim Sprechen überhaupt nicht auffallen. Die Pause zwischen r und i kann in den Wörtern Erinnerung und Leser:innen genau gleich gesprochen werden.
Ähnlich verhält es sich mit dem Argument des angeblich störenden Sonderzeichens beim Gendern in Texten. Das Gendersternchen * und andere Sonderzeichen wie : oder / würden den Lesefluss stören. Auch hierfür gibt es Beispiele für Sonderzeichen zwischen zwei Buchstaben innerhalb von Wörtern, über die sich bislang noch nie ein Mensch beschwert hat. So ist es mir zum Beispiel noch nie passiert, dass mir auf die per Textnachricht gestellte Frage "Wie geht’s dir?" mit "Das ‘ stört beim Lesen. Schreib gefälligst: Wie geht es dir?" geantwortet wurde. Oder hat’s dich grad gestört, dass du das zweite Wort in diesem Satz mit dem Sonderzeichen ‘ zwischen t und s lesen musstest? Wenn nicht, warum stört‘s dich dann bei Leser*innen? Es ist nur eine Frage der Gewöhnung. Hat man ein paar Zeilen mit genderneutralen Bezeichnungen, welche das Gendersternchen beinhalten, gelesen, so fällt das Sonderzeichen zwischen den Buchstaben gar nicht mehr auf, denn wir lesen Texte nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern Wort für Wort. Nach kurzer Eingewöhnung wird das Sonderzeichen im Wort einfach überlesen. Deshalb kann unser Gehirn auch Texte verarbeiten, bei denen Buchstaben in Wörtern vertauscht oder durch Zahlen ersetzt wurden.
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Diseen Sazt kontnset du betsimmt auhc mit wneig Mühe leesn.
Das waren zwei von vielen verschiedenen Textbeispielen, welche sehr gut zeigen, dass wir nicht Zeichen für Zeichen, sondern Wörter als Ganzes lesen, wodurch störende Sonderzeichen innerhalb von Wörtern kein Problem sind.
Ein weiteres, oft genanntes Argument gegen das Gendern, sind unlogische Satzbau- und Wortkonstellationen, welche es tatsächlich gibt. Jedoch bilden diese eher die Ausnahme, als die Regel. In den allermeisten Fällen funktioniert genderneutrale Sprache und Schreibform ohne Probleme. Dennoch gibt es Fälle, wo es nicht so gut funktioniert. Jedoch sehe ich es ähnlich wie die Verkehrsregel "Rechts vor Links" nicht als Grund, diese nicht zu nutzen. Rechts vor Links funktioniert im Strassenverkehr in den allermeisten Fällen sehr gut, doch es können sich Situationen ergeben, in denen diese Regel versagt. Zum Beispiel wenn an einer ampellosen, unbeschilderten Strassenkreuzung aus allen vier Richtungen zeitgleich Autos zum Stehen kommen. In so einem Ausnahmefall würde die Rechts vor Links Regel nicht funktionieren und die Verkehrsteilnehmenden wären für immer und ewig an der Strassenkreuzung gefangen. Anstatt die Rechts vor Links Regel deshalb abzuschaffen, verzichtet in solch einem Ausnahmefall eine der vier Personen auf ihr Vorfahrtsrecht und gewährt der links stehenden Person Vorfahrt.
Nach diesem Prinzip kann auch mit Ausnahmefällen beim Gendern umgegangen werden. In der Regel, also in den meisten Fällen, funktioniert es gut und wenn nicht, lässt man es eben einfach bleiben.
Dies waren die drei Argumente gegen eine geschlechtsneutrale Sprache und Schreibform, welche meiner Wahrnehmung nach am häufigsten angebracht werden.
Zum Schluss möchte ich noch auf zwei Dinge hinweisen, welche auch oft von Gegnern des Genderns thematisiert werden. Nämlich dass es eine Erfindung der Grünen sei. Dies ist faktisch falsch. Die Forderung einer diskriminierungsfreien Sprache, von welcher sich sowohl männliche, als auch weibliche und später auch nichtbinäre Menschen, welche sich nicht ausschließlich dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen, also einfach alle Menschen angesprochen fühlen können, kam bereits in den 1960er Jahren auf, zu einer Zeit, in der es die Partei Bündnis 90/Die Grünen noch gar nicht gab. Anfangs eher in universitären Kreisen beliebt, doch längst nicht Mainstream, erhielt dieses Thema mehr und mehr Aufmerksamkeit. Gendern ist also nicht, wie manche Gegner behaupten, eine Idee der Grünen, die angeblich keine wichtigeren Probleme hätten.
Der zweite Punkt, den ich zum Schluss noch loswerden möchte (vielleicht ist es aufmerksamen Lesenden bereits aufgefallen): Der gesamte Text hier ist genderneutral geschrieben, ohne Formulierungen wie "Leser*innen" oder andere Bezeichnungen mit Gendersternchen. Lediglich in Beispielen habe ich das Gendersternchen genutzt, doch von den Beispielen abgesehen habe ich bewusst von Verkehrsteilnehmenden, anstatt von Verkehrsteilnehmer*innen und von Lesenden, anstelle von Leser*innen geschrieben, um zu demonstrieren, dass man in der Regel (es gibt Ausnahmen) auch vollständig auf Sonderzeichen verzichten und dennoch genderneutral schreiben und sprechen kann. Einfach für diejenigen Menschen unter euch, die sich wirklich nicht mit dem Sternchen arrangieren können aber vielleicht trotzdem zeitgemäß und fair eine diskriminierungsfreie Sprache und Schreibform nutzen möchten. Sogar wer ein Problem mit Bezeichnungen wie Lesende anstelle von Leser*innen hat, kann im bislang gewohnten Deutsch genderneutral schreiben und sprechen, indem ganz einfach von Menschen, die diesen Text lesen, gesprochen wird.
Beim Schreiben meiner Texte benutze ich verschiedene Formen geschlechtsneutraler Bezeichnungen, um herauszufinden, welche für mich am besten passen.
Daher bedanke ich mich auf dreierlei Art bei entweder allen Leser*innen; oder bei allen Lesenden; oder aber, wie es schon immer grammatikalisch korrekt war und dennoch genderneutral wäre: bei allen Menschen, die diesen Text gelesen haben, für das Interesse an diesem Thema.